Poetry Slam-Text von Link
Wieder an der S-Bahn, unterwegs zu meinen Freunden
Meine Bahn ist zu spät und der Handy-Akku tatsächlich leer
Ich lasse meine Augen schweifen
Neben all den namenlosen Gesichtern fallen sie auf
ein Pärchen
Ich lächle, als ich die beiden Frauen sehe
Arm in Arm, Hand in Hand, zufrieden lächelnd
Lippen, die braunes lockiges Haar küssen
Meine Augen wandern weiter
Eine Gruppe von Typen, die grölen, lachen, grinsen
Es bildet sich ein Knoten in meinem Bauch
Ich erinnre mich an ein genauso blödes Grinsen und die Worte:
„Naja, vier Titten sind halt geiler als zwei“
Ich denke an Dating-Profile mit der Beschreibung:
„Pärchen sucht offene Frau für eine sinnliche Nacht“
Der Knoten in mir zieht sich ein bisschen fester
Ich wende meinem Blick ab, sehe eine Mutter mit ihrem Kind
Sehe ihren leicht angewiderten Blick im Vorbeigehen
Sehe, wie sie ihr Kind schnell weiterzerrt
Der Knoten lockert sich nicht
Ich lasse mich auf eine Bank fallen, schließe meine Augen, versuche alles auszublenden
Höre eine Bahn einfahren, doch der Knoten macht mich ganz träge
Ich versuche gleichmäßig zu atmen, versuche ihn zu lösen
Aber ich erinnere mich
Ich erinnere mich an meine erste Freundin
Daran, wie mir erst damit bewusst wurde,
Dass diese Art von Liebe tabu ist
Ich verstehe dieses Tabu bis heute nicht
Ich erinnere mich an einen heißen Augusttag, den achten Geburtstag meiner Cousine
An meinen Onkel, der mir und meiner Freundin sagt, dass die Eltern der Kinder auf der Feier nicht wollen, dass ihre Kinder unsere Beziehung sehen
„Denkt doch an die Kinder!“
Die Kinder kümmert es nicht, ob du einen Freund oder eine Freundin hast
Die Kinder kümmert das Konzept von Vater Mutter Kind, und so und nicht anders, echt einfach nicht
Die Kinder kümmert es, ob du scherzen kannst und ihnen beim Basteln hilfst.
Queere Beziehungen werden zur selben Zeit sexualisiert, aber sind ein Tabu
Unter den Teppich gekehrt
Und „Bist du dir sicher, dass ihr nicht nur wirklich gute Freundinnen seid?“
Nicht als tatsächlich bedeutsame Verbindung zwischen Menschen anerkannt
Ich erinnere mich an die Hilflosigkeit gegenüber der Anonymität
Hinter der sich so viel Hass versteckt, so viel Angst
Und ja, auch ich verspüre Angst, wenn ich einen Knoten in mir fühle
Und ja, ich weiß, Angst ist das, was uns oft lähmt
Was alle Seiten jeglichen Konfliktes davon abhält zu reden
Es fühlt sich leichter an still zu bleiben
Die Entscheidung, ob ich mich selbst verstecke, meine Farben nicht zeige
Oder, ob ich mit einem Akt der Authentizität mir selbst treu bleibe
Ist jedoch schnell getroffen
Lieber gehe ich in der Kleinstadt mit meinen Buttons durch die Straßen
Als dass ich unsichtbar werde
Lieber zeige ich „Hey es ist okay anders zu sein“
Denn es gibt nicht nur das eine wahre und objektive „Normal“
Es gibt kein „Anders“ in einer Welt, die viel mehr als nur zwei Seiten hat, mehr Farben
Lieber oute ich mich, wann immer ich muss
Da ich weiß, dass andere nicht einmal die Wahl haben
Lieber zeige ich Solidarität
bestärke andere und lasse mich stärken
Ich öffne meine Augen wieder
Ein leichtes Lächeln auf meinen Lippen
Als ich an meine Freunde denke
Denke an dieses Netz, gespannt um zu stützen, um zu stärken
Ich schaue mich um
sehe die Anzeigetafel und registriere, dass ich meine Bahn verpasst habe
meine Augen suchen das Pärchen und – Ah, da sind sie
Sie stehen sich immer noch nah und halten Händchen
scheinbar ungestört und sicher durch die Existenz der jeweils anderen
Ein Vater läuft mit seinem Kind an den beiden vorbei
das Kind zeigt auf sie und öffnet den Mund
Ich spitze meine Ohren und werde belohnt
„Schau mal, Papa, die lieben sich so wie du und Mama auch“
Und der Knoten lockert sich wieder