Poetry Slam Text von Alex Ko
„Cheri, Cheri lady, going through a motion, Love is where you find it, Listen to your heart“. Genervt drehe ich mich auf den Rücken und klatsche zweimal in die Hände. Mein Wecker verstummt. Warum die Plutonerinnen und Plutoner Modern Talking so vergöttern, werde ich nie verstehen. Seit ich vor 9 Monaten von einem Massenraumschiff auf den Pluto umverteilt wurde, weckt mich mein
„Oldschool Erdenwecker“ abwechselnd mit den größten Hits von Dieter und Thomas. Langsam quäle ich mich aus dem Bett und torkele ins Badezimmer.
Mein Smart-Bad analysiert mein heutiges Aussehen und beginnt mit der Berechnung der nötigen Körperpflege. Automatisch schaltet sich das Radio ein:
„Erste Hochrechnungen der Planetswahlen ergeben, dass der AfD mit 15% der Stimmen im Planetstag vertreten sein wird.“ Ich zucke zusammen, wie immer, wenn ich auf diesem Planeten AfD höre. Dunkle Erinnerungen an die Erde und die dort zuletzt herrschende Partei schleichen sich in meinen Kopf, obwohl der AfD wenig mit dieser Partei gemein zu haben scheint. Der Allabendliche Bund für Dudelsackspielende hat es sich zum Ziel gesetzt das Dudelsack spielen wieder populär zu machen. Leider mit Erfolg.
„In unserem Planetsorchester sind mittlerweile viel zu wenig Dudelsäcke vertreten, es werden nur noch Blockflöten und Triangeln gefördert! Wir wollen uns diesem Missstand entgegensetzen! Make Dudelsackspielen great again!“, höre ich die Parteivorsitzende lamentieren, und mir läuft ein eiskalter Schauer den Rücken hinunter. „Sender wechseln“, brummele ich beiläufig. Der tendenziell rassistische Algorithmus meines Radios bestimmt, dass ich doch am besten „Alte Deutsche Welle 83,5“ hören soll. Es läuft „You’re my heart, you’re my soul“. „Radio aus!” rufe ich nun entgeistert.
Auf dem Weg zur Arbeit komme ich an diversen Anti-AfD-Plakaten vorbei. Slogans wie „Hört auf zu dudeln, ihr Säcke!“ oder „Nieder mit der Instrumentalisierung der Regierung!“ lächeln mir provokativ entgegen. Ich schüttele langsam und benommen den Kopf. Obwohl ich tausende Kilometer von der Erde entfernt bin, erinnert mich doch so viel an meine Heimat. Tagtäglich fühle ich mich beklommen, wenn ich die Türen meiner Arbeitsstelle durchschreite. Da Einheimische diese Art von Arbeit nicht mehr verrichten möchten, arbeite ich in einer Musikschule – und unterrichte Blockflöte. Die steigenden Zahlen des AfD in den Planettagswahlen spiegeln sich vor allem in der Diskriminierung wider, die mir als Mensch und noch dazu Blockflötenlehrerin widerfährt.
Im Lehrerinnenzimmer angekommen, grüße ich in die Runde und ernte nur abwertende Blicke. Zwei meiner Kolleginnen kommen direkt auf mich zu und bauen sich einschüchternd vor mir auf. Xylon und Cenit sind sowas wie die Alphaweibchen des Kollegiums, vor allem aber sind sie AfD-Parteimitglieder. Daher wird keine schulinterne Entscheidung ohne ihre Zustimmung getroffen und niemand wagt es auch nur im Entferntesten ihnen zu widersprechen. „Ich hab gehört, du warst am Samstag auf der Anti-AfD Demo?“ blökt Cenit mich an.
„Äh, nun … eigentlich bin ich da nur spazieren gegangen, also so richtig bewusst war mir das gar nicht, dass da ‘ne Demo ist … sah auch irgendwie ganz nett aus, so bunt und ja… verrückt, so schnell kann’s gehen und schon -“ „Wir wollen deine Ausreden gar nicht hören. Der Punkt ist, dass du dich in Zukunft von so einem Schund fernhältst, verstanden?“ faucht Xylon mich an. Ich starre sie finster an. Innerlich koche ich vor Wut. „Es reicht jetzt! Ich lass mir von euch nichts vorschreiben, ihr scheiß Dudelsackfaschos!“ kontere ich und bereue diese Entscheidung sofort. Cenits Laseraugen leuchten auf und Xylon beginnt Strom durch ihre Adern zu pumpen. Sie treten Schritt für Schritt näher an mich heran, und ich spüre, dass das nicht gut ausgehen wird. „Was hast du gesagt? Wir haben dich nicht verstanden“, knurrt Cenit, während Xylon ihre bereits funkensprühenden Hände auf mein Gesicht richtet. Hitze breitet sich auf meinem ganzen Körper aus. Der nächste Blick Cenits wird mein letzter sein, das spüre ich. Langsam dreht sie ihren Kopf und –
„Cheri, Cheri lady, going through a motion, love is where you find it, listen to your heart“. Genervt drehe ich mich auf den Rücken und schlage mit der flachen Hand auf meinen Nachttisch. Mein Wecker verstummt. Seitdem ich vor 23 Jahren das Licht dieser Welt erblickte, hat sich einiges verändert. Es ist 2084 und die AfD spaltet das ganze Land. „Boah, wasn Traum“, denke ich noch im Halbschlaf.
Was mein Cousin,ein AfD-Wähler, wohl dazu sagen würde. Fände er es genauso absurd? Wir haben uns schon seit Jahren nicht mehr gesehen und halten nur noch über soziale Medien Kontakt. Er ist kein Rassist … oder? Hundert Gedanken schießen durch meinen Kopf: Warum wählt er überhaupt die AfD? Und was sagt das über ihn aus? Was sagt es über mich aus, dass ich es verurteile ohne mit ihm darüber gesprochen zu haben? Und vor allem: Warum verurteile ich die AfD? Mein Freundeskreis reicht von mittig bis extrem links. Mit gutem Gewissen trinken die meisten meiner Freunde tagtäglich Fairtrade-Kaffee und unterschreiben Online-Petitionen gegen rechte Hetze. Sie lesen die taz, rauchen dann und wann Gras. Geeint durch das Feindbild AfD. Ich merke, dass da was nicht stimmt. Ich merke, dass ich was verändern will. Ich merke, dass ich bereits dabei bin, meinen Cousin anzurufen.