Poetry Slam Text von Jana B.
In diesen Tagen atme ich Luft wie einen Molotow-Cocktail
vier Fünftel Stickstoff, ein Fünftel Sauerstoff,
alles wie immer,
aber es steckt schon der Lappen drin
und das politische Feuerzeug ist auf Anschlag
Ich glaub, Deutschland fliegt uns grad um die Ohren.
Als ach so engagierte Studierende 2019 proklamiere ich:
Keine Uni den Identitären!
Keinen Bundestagssitz den Rechten!
Keinen Sex für Nazis!
Und ich nicke im Gleichklang
mit meinen Wohlfühlmenschen
in meiner Wohlfühlblase
über meine Wohlfühlworte
und ziehe eine Schweigemauer um mich
und unsere intellektuelle Regenbogen-Einhorn-Party,
für die AfD-Wähler leider nicht geil genug sind.
Weil – mein Ego danach giert, auf der Seite der Guten zu raven
Weil – Rechte ihr Weltbild schon selber reflektieren,
wenn ich größtmöglichen Abstand zu ihnen halte
Weil – es frustrierte Menschen bestimmt besänftigt,
sie als dumm und abstoßend zu verschreien
Weil – meine eigene Meinung so brillant ist,
dass Widerworte sie eh nur noch weiter aufpolieren können
Und weil – mich eine feindselige Trennung von Wir und Ihr
praktischerweise nur bei den anderen irritiert.
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Und so sitze ich zusammen mit meinen Wohlfühlmenschen
in meiner Wohlfühlblase
und brülle noch ein paar mehr Wohlfühlworte:
Dass ich mir nicht sicher sei,
ob ich mit CDU- oder FDP-Wählern befreundet sein könnte,
weil da jeder erstmal nur an sich selber denke.
Wie man überhaupt freiwillig im Krieg dienen könnte,
mit Mördern könne man doch nichts zu tun haben wollen.
Und natürlich suche ich mir meine Freunde danach aus,
ob sie einen gewissen Weitblick für die Welt mitbringen und ihren
weißen Elfenbeinturm der Privilegien gefälligst niederreißen wollen.
Man wisse doch, wen man wählen könne und wen nicht, oder?
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„Alter, mit dir kann ich echt nicht über Politik reden!“
sagt eine Freundin plötzlich.
„Was ist denn das für eine Diskussionskultur,
wo jeder vor sich hin poltert,
sich mit seinem politischen Statussymbol einen runterholt
und klarmacht, dass alles, was dem widerspricht,
hier gerade nicht willkommen ist.“
Das stelle sie sich unter Freunden echt anders vor.
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Wouh. Das sitzt.
Wie der Lappen in meinem Molotow-Luftcocktail,
bei dem gerade jeder Rezeptor schmecken kann,
dass Luft halt zu 4/5 stickig ist und zu 20% sauer
und dass auch 0,93 % Argon dabei sind,
– das klingt ja schon wie Argwohn –
und dann noch Kohlenstoffdioxid!
Also alles, was die Welt bekanntlich zugrunde richten kann.
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Mein Wohlfühlseifenblasen-Ich möchte quietschen:
„Lasst uns doch noch Liebe reinstreuen und Glitzer obendrauf!
Und Einhorn-Luft für alle!“
Aber der Lappen steckt schon drin,
das politische Feuerzeug ist auf Anschlag
und verdammt noch mal, meine Freundin hat Recht.
Es ist
Zeit, den Lappen aus dem Brandbeschleuniger zu reißen,
nicht, um mir den Mund abzuwischen,
wenn das Geifern vor Polit-Talks ausufert,
oder um die Kotze aufzuwischen, wenn der Storch twittert,
sondern weil wir uns selbst-gefällig selbst geknebelt
und vergessen haben, wie man in Deutschland noch konstruktiv ins Gespräch kommt.
Lausche ich in meiner Blase etwa verzückt nur noch meinem eigenen Echo
und stopfe sogar den Menschen, die mir etwas bedeuten,
einen brandbeschleunigenden Lappen zwischen die Zähne?
Es ist
Zeit, ihn endlich wieder ein Tischtuch sein zu lassen,
ein Blümchen in die Flasche zu stecken
und ein gepflegtes Gespräch zu beginnen:
mit den Menschen in meiner Wohlfühlblase
und mit Menschen, die sich ihre Überzeugungen auf den Brustkorb tätowieren.
Mit derjenigen, die von einer anderen Welt träumt als ich,
und mit jedem, den ich nicht verstehen kann,
mit dir und dir und –
mit all den Menschen, mit denen ich bisher – einvernehmlich –
den Großteil unserer Begegnung dem jeweiligen Schubladendenken überlassen hatte.
Ich
will das Tischtuch ausbreiten
mit jeder und jedem, der Bock darauf hat,
dass wir endlich wieder üben,
uns beim gemeinsamen Atmen auch wieder zuzuhören
uns auszuhalten, zuzuwenden
und unsere Luft zu teilen, damit sie uns nicht wie ein Molotow-Cocktail um die Ohren fliegt.