A little fall of rain

Poetry Slam Text von Johanna C.

Stellt euch einen Park vor: Sonnenschein, strahlend blauer Himmel, Kinderlachen, Vogelgezwitscher, ein buntes Treiben eben. Zufriedenheit liegt in der Luft. Jeder ist in seiner Blase aus Sorglosigkeit. Die Wiese wirkt wie ein XXL-Bällebad. Alles scheint perfekt zu sein, oder? Nein. Denn niemand bemerkt, dass die Vögel schlagartig verstummt sind. Etwas hat sich verändert. Etwas liegt in der Luft, schleicht sich langsam an dieses Bällebad der Sorglosigkeit heran: Die Stille vor dem Sturm.

Eine kühle Brise kommt auf. Der Himmel über MIR ist immer noch strahlend blau. Doch nur wenige Meter hinter mir, am Rand der Wiese ist alles anders: Drei weiße Männer laufen auf einen jungen Schwarzen Mann zu. Er sitzt auf seiner Decke, ganz friedlich, nicht ahnend, dass ein Sturm aufziehen wird.

Eine Angespanntheit geht von dieser Gruppe aus, die nicht zu diesem sonnigen Tag zu passen scheint, als sich der Himmel über ihnen zuzieht und die Wolken sich auftürmen: Finster. Dunkel. Bedrohlich.

Die Brise weht den gedämpften Klang erster Worte zu mir. Ein Schleier liegt über ihnen, wie dichter Nebel, sodass ich sie kaum verstehe. Der stärker werdende Wind vertreibt den Nebel, trägt den Klang der Worte zu mir, und was ich höre, durchdringt mich ganz und gar: „AUCH DEIN HAUS WIRD BRENNEN!“. Und mit jedem Wort schwillt der Wind an, wird bedrohlicher. Immer noch scheine ich die einzige zu sein, die bemerkt, dass sich etwas verändert hat. Denn über uns ist der Himmel strahlend blau.

Es beginnt zu regnen. Beleidigungen tröpfeln zunächst leise und prasseln schließlich stürmisch auf den jungen Schwarzen Mann ein. Jeder Tropfen ein Wort. Je größer die Tropfen, desto stärker der HASS. Desto stärker die VERACHTUNG. Desto stärker die WUT in ihren Gesichtern. Desto stärker die VERZWEIFLUNG in SEINEM Gesicht.

Der Schauer aus Beleidigungen durchnässt ihn von Kopf bis Fuß. Durchdringt seine Schuhe, saugt seine Socken mit Wasser voll, was jeden Versuch eines Ausweichschritts schwerer werden lässt. Der Regen an Beschimpfungen wird immer stärker. Einzelne Tropfen verschwimmen miteinander, werden zu Fäden, werden zu einer Wand, kaum noch zu durchdringen. Ein Blick in sein Gesicht: Tropfen um Tropfen rinnt an seiner Wange herab. Tränen, nicht von Regentropfen zu unterscheiden. Hinter mir immer noch Sonnenschein und Kinderlachen: Die pure Sorglosigkeit im XXL-Bällebad, und vor mir? Der BLANKE HASS.

In mir hat sich etwas verändert. Die Gelassenheit, mit der ich den Tag begann, verschwindet und wird von Verständnislosigkeit verdrängt. Je größer sie wird, desto mehr Druck baut sich in meiner Blase der Sorglosigkeit auf, bis sie schließlich ganz zerplatzt.

Für einen Moment ist alles still.

Der Wind kommt von allen Seiten, greift nach mir. Zerrt mich in alle Richtungen, schubst mich um, zwingt mich zu Boden. Ich kämpfe mich hoch, nur um sofort wieder runtergedrückt zu werden. Ein Blick in das Gesicht des jungen Mannes, ein kleiner Funke Hoffnung flackert auf. DAS ist es, was ich brauche. Dieser Funke entfacht in mir ein Feuer, das mir die Kraft gibt aufzustehen und mich durch den Sturm zu kämpfen.

Der Regen peitscht mir ins Gesicht, da halte ich plötzlich einen Regenschirm in der Hand. Ich will ihn aufspannen, zu dem jungen Mann eilen und ihn vor dem Regen schützen. Doch wie sehr ich es auch versuche, ich kann den Schirm nicht öffnen. Der Wind ist zu stark. Er dreht meinen Schirm um, bläst mich davon, treibt mich weg. Für jeden Schritt, den ich auf den jungen Mann zu mache, werde ich drei Schritte zurückgeworfen. Verzweiflung kommt in mir hoch. Ich beginne zu frieren, denn der Wind ist so kalt. So voller KALTEM HASS.

Der Himmel über den vier Männern wird immer bedrohlicher. Jedes Wort lässt ihn dunkler werden. Ein Donnerschlag! Ein zweiter und ein dritter schlagen auf den jungen Mann ein, wie wütende Fäuste auf einen Boxsack. Immer und immer wieder. Und er rappelt sich auf, und versucht sich zu wehren, nach Hilfe zu rufen, doch der Vorhang aus Regen verschluckt seine Rufe. Hinter mir immer noch Sonnenschein und Kinderlachen. Die Sonne scheint ihnen aus dem Arsch! Die pure Sorglosigkeit im XXL-Bällebad – und vor mir? Die BLINDE WUT.

Immer verzweifelter versuche ich weiter vorwärts zu gelangen, doch jeder Schritt ist so schwer als wären meine Füße in Betonklötze gegossen. Ich kann nicht mehr. Ich sinke zu Boden und ringe nach Atem. Tränen rinnen jetzt auch meine Wange herab und als ich zurückblicke, sehe ich, wie die ersten Grüppchen aufstehen und gehen.

Ich will schreien: „Kommt zurück! Geht nicht weg! Ich schaff es nicht allein!“ Doch niemand scheint mich zu hören. Ihre Blasen der Sorglosigkeit schirmen sie ab von dem Elend, das vor mir liegt. Ich will schreien, wüten, toben, selbst zum Sturm werden. Ihnen ihre Ignoranz um die Ohren peitschen. Hoffnung überkommt mich, als der Wind nachlässt, der Regen weniger wird – doch zu welchem Preis? Immer mehr Donnergrollen.

Ich dachte, ich wäre schon fast am Ziel, als der Wind wieder aufbraust. Stärker diesmal. Schneidend. Mein Regenschirm wird davongetragen und mich verlässt der Mut. Der Wind ist so stark, dass ich das Gefühl habe zu ersticken. Erneutes Donnergrollen, lauter als je zuvor. Ein letztes Mal rapple ich mich auf. ICH DARF NICHT AUFGEBEN! Kämpfe mich Schritt für Schritt durch peitschenden Wind und Regen. Durch HASS. Durch WUT. Durch BELEIDIGUNGEN.

Der Wind trägt meinen Regenschirm zurück. Entschlossen greife ich ihn: Donnerschlag um Donnerschlag, Tropfen um Tropfen. Nur noch zwei Schritte – Da zuckt ein Messer durch die Luft wie ein Blitz, verfehlt aber sein Ziel. Erneut ein Donnerschlag und ein Blitz – durchzuckt mich. Das „NEEEIIIN!“, zu dem ich eben noch ansetzte, bleibt in meiner Kehle stecken.

Und nun geht alles sehr schnell. Plopp! Plopp! Plopp! Blase um Blase zerplatzt. Menschen rufen durcheinander, ein buntes Stimmenwirrwarr. In der Ferne höre ich Sirenen. Menschen rennen panisch auf uns zu und ich verstehe nicht, was hier gerade passiert. Der Schirm liegt ganz zerfetzt neben mir auf dem Boden. Vor mir sehe ich die drei weißen Männer mit aufgerissenen Mündern und Augen, hinter mir steht der junge Schwarze Mann.

Mit einem Mal ist mir ganz kalt, obwohl der Wind sich gelegt hat, obwohl von dem strömenden Regen nur noch Nieseln geblieben ist. Jetzt ist es der junge Schwarze Mann, der schützend die Reste meines Regenschirms über mich hält. Ich muss an den Film Les Misérables denken: „A little fall of rain. Can hardly hurt me now.”

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